neuewoche. Mittwoch, 30. August 2017 10 Abenteuer Trekking, Teil 91: Unterwegs in Burgund - in einem Land, das kein Land ist, sondern das Leben. Wo Wein das wahre Gold ist „Burgund ist kein Land, Burgund ist das Leben“. Mit diesem Ausspruch brachte François Mitterrand, der frühere Präsident Frankreichs, auf den Punkt, was diese Region im Herzen ihres Landes auch heute noch für viele Franzosen darstellt: Den Inbegriff ihres traditionellen „savoir vivre“, ein Synonym für ländlich-rustikale Gemütlichkeit, wo die Uhren etwas langsamer gehen als anderswo und wo man sich noch Zeit nimmt für ein ausgedehntes Essen, einen Plausch mit Freunden oder ein gutes Glas Wein. Apropos Wein: Auch der kostbare Rebensaft ist natürlich untrennbar mit dieser Region verbunden, schließlich befinden sich hier einige der berühmtesten Weinberge der Welt (siehe Extra-Artikel). Kein Wunder also, dass das wichtigste Anbaugebiet, das sich südwestlich der burgundischen Hauptstadt Dijon über eine Länge von etwa 50 Kilometern erstreckt, einen besonderen Namen trägt, der seine große Bedeutung widerspiegelt: Côte d’Or, zu Deutsch „Goldhang“. Entlang dieser tatsächlich hangartigen geolo- gischen Steilabbruchkante breitet sich aber nicht nur das Rebenmeer aus, das für den Wohlstand dieser Gegend verantwortlich zeichnet, sondern hier verläuft auch der französische Fernwanderweg GR7 (GR = Grande Randonnée, zu Deutsch „große Wanderung“), auf dem ich während einer dreitägigen Trekkingtour den besonderen Zauber dieses Landstrichs erleben möchte. Der Weg führt dabei zwar nicht ständig durch Weinberge. Gerade während der ersten Etappe prägen zunächst dichte, schattige Wälder und ausgedehnte Wiesenflächen das Landschaftsbild. Hier passiere ich die auf einem Bergrücken thronende Wallfahrtskirche Notre-Dame d’Étang und später das urige Gehöft Rente de Chamerey, das weit und breit der einzige Außenposten der Zivilisation in ansonsten absolut einsamer Natur ist. Doch ab dem zweiten Tag zeigt sich die Côte d’Or von ihrer deutlich bekannteren Seite. Weinstöcke soweit das Auge reicht Und bereits jetzt, im Frühsommer, wenn die Trauben noch Monate bis zur Reife brauchen, ist der landwirtschaftliche Reichtum dieser Region förmlich spürbar, als ich auf bequemen Wegen durch die sanft gewellte Hügellandschaft wandere. Zu meiner Linken wie zur Rechten erstrecken sich in beinahe beängstigender Symmetrie lange Reihen akkurat gepflegter Weinstöcke. Soweit das Auge reicht, saugen hier bei den roten Sorten vor allem Pinot Noir und bei den weißen Reben hauptsächlich Chardonnay die angenehm warmen Sonnenstrahlen auf. Wenn man bedenkt, dass es sich beim Geschäft mit dem Wein längst um ein Milliarden-Business handelt, könnte man hier Prunk und Protz erwarten, schicke Villen und noble Landsitze reicher Winzergrößen. Aber komplette Fehlanzeige, denn obwohl es sich um das renommierteste Weinanbaugebiet Frankreichs handelt, nimmt sich dessen Fläche eher bescheiden aus und verteilt sich zudem auf eine sehr große Zahl von Eigentümern, so dass es hier fast ausschließlich kleine, familiäre Weingüter gibt. Typisch französischer Charme Ich passiere Dörfer wie l’Étang-Vergy, Chevannes oder Arcenant, die an Bodenständigkeit kaum zu überbieten sind und mit typisch französischem Charme aufwarten: Häuserfassaden, denen man in Deutschland mal wieder zu neuem Putz raten würde; die kleine Boulangerie, die zu keiner Kette gehört und noch selber backt; der wie aus der Zeit gefallene Tabak-Laden, der vor allem Zeitschriften, Lottoscheine und Süßigkeiten verkauft; Anwohner, die mit Baguette und Tageszeitung unter dem Arm in ihren alten Renault steigen. Eben genau das, was Mitterrand meinte. Auf eine kleine Ausnahme treffe ich lediglich in Aloxe-Corton. Dieses 150 Einwohner-Dorf beherbergt das gleichnamige Schloss, das mit seinem bunten Ziegeldach im Rautenmuster und den zahlreichen Türmchen eines der symbolträchtigsten Bilder Burgunds ist, zumal es passender Weise mitten im Rebenmeer steht. Nach dem nördlichen Teil der Côte d’Or, der so genannten Côte de Nuits, befinde ich mich mittlerweile in ihrem südlichen Abschnitt, der Côte de Be- aune. Die namensgebende Stadt Beaune mit ihren gut 20 000 Einwohnern ist das Tourismuszentrum dieser Region. Beste Voraussetzungen zur Erkundung bietet die Tatsache, dass der Campingplatz mitten in der Stadt liegt und ich von meinem Zelt nur fünf Gehminuten brauche, bis ich durch das nördliche Stadttor, die Porte Saint- Nicolas, die sehenswerte Altstadt betrete. Schmale Gassen und Pflaster Schmale Gassen, Kopfsteinpflaster, Fachwerkhäuser sowie zahlreiche belebte Plätze mit Springbrunnen und Cafés schaffen hier ein gemütliches, unaufdringliches Ambiente, in dem man sich auf Anhieb wohl fühlt. Architektonischer Höhepunkt ist das Hôtel-Dieu, ein bereits im 15. Jahrhundert gegründetes Krankenhaus für Bedürftige. Bis 1971 wurde es als solches genutzt, mittlerweile beherbergt es ein Altenheim und ein Museum. Seine farbigen Dächer sowie zahlreichen kleinen Giebel und Spitzen sind wie das Schloss in Aloxe-Corton im typischen Stil der Region gehalten. Und als gelte es, all diese Sehenswürdigkeiten und das Flair dieses Ortes angemessen zu schützen, wird die historische Altstadt von einer kreisförmigen, etwa Praktische Reise-Tipps Beste Reisezeit: Mai bis Anfang Oktober Literaturtipps: Wanderführer: „Burgund – Von der Loire bis zur Saône“ (Bergverlag Rother, 14,90 Euro), mit 50 Tourenbeschreibungen mit Höhenprofil und Kartenausschnitten im Maßstab 1:25 000 bis 1:75 000. Wanderkarte: IGN-Karten Nr. 3023OT „Nuits-Saint-Georges“ und Nr. 3024OT „Beaune – Chagny“, jeweils 12 Euro, Maßstab 1:25 000, zu bestellen unter www.ign.fr. Reiseführer: „Burgund“ (Dumont Reiseverlag, 17,99 Euro), enthält praktische Reisetipps, Vorschläge für (Auto-)Routen und interessante Hintergrundinfos. Internetadressen: www.burgund-tourismus.com (Seite des Fremdenverkehrsbüros mit zahlreichen Informationen über die Region) www.camping.info/frankreich/ burgund/côte-d-or/campingplaetze?open=map (Übersichtskarte aller Campingplätze in der Region Côte d‘Or) www.ffrandonnee.fr/boutique/cartede-france-topos-guides-rando.aspx (Übersichtskarte aller französischen Fernwanderwege) BURGUND-SZENERIE WIE AUS DEM BILDERBUCH: Der Weg führt den Wanderer durch ein endloses Meer aus Weinreben. Fotos: Christian Ruhland Anbieter organisierter Wanderreisen im Burgund: France écotours (www.france-ecotours.com) Tour Exquisit (www.tourexquisit.de) Avanti Reisen (www.avantireisen.de)
neuewoche. Mittwoch, 30. August 2017 11 TYPISCH BURGUND: Sehr gute Hinweisschilder des Fernwanderwegs GR7. BON APPÉTIT: Ein Trekking-Abendessen auf Französisch beendet den Tag. ROSEN UND ALTE MAUERN: Nicht gerade neu, trotzdem – oder gerade deswegen - irgendwie charmant. DISNEY LÄSST SCHÖN GRÜSSEN: Erker, Türmchen und schmiedeeiserne Gitter zieren die alten Gemäuer. zwei Kilometer langen und bemerkenswert gut erhaltenen Stadtmauer umrahmt. Auch die Außenbezirke von Beaune werden umrahmt – natürlich von Weinbergen. Wie eine große Insel liegt die Stadt mitten im riesigen Rebenmeer. Hinter den letzten Häusern beginnen übergangslos die Weinstöcke, die sich bis in die höheren Lagen der umgebenden Hügel erstrecken und erst dort von Wald abgelöst werden. Für mich als Wanderer doppelt praktisch: Angesichts frühsommerlicher Wärme spendet der dichte Baumbestand nun angenehm Schatten und Abkühlung, gleichzeitig habe ich von dieser erhöhten Position aus einen perfekten Ausblick über die sanfte Landschaft mit all ihren Facetten. Ein paar Kilometer weiter südlich gehen jedoch nicht nur die letzten Ausläufer der Côte d’Or ihrem Ende entgegen, sondern auch meine Tour nähert sich ihrem Ziel, das am Bahnhof von Chagny erreicht ist. Aus dem Fenster des Regionalzugs genieße ich noch einmal im Schnelldurchlauf das liebliche Landschaftsbild der letzten drei Tage. „Burgund ist kein Land, Burgund ist das Leben“ – mein Aufenthalt war zwar kurz, aber ausreichend, um ein erstes Verständnis dafür zu bekommen, was François Mitterrand meinte. Und da Burgund neben der Côte d’Or noch zahlreiche weitere interessante Landstriche zu bieten hat, werde ich dieses Verständnis sicher schon bald auf neuen Touren vertiefen. Christian Ruhland Weinanbau in Burgund Das „Gold“ der Region ist sogar Unesco-Welterbe Die Liste der französischen Weinanbaugebiete ist lang: Bordeaux, Champagne, Provence, Languedoc-Roussil- lon, Cognac und Beaujolais, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Allein schon ihre Namen zergehen dabei dem Kenner ebenso lustvoll auf der Zunge wie die edlen Tropfen, die dort produziert werden. Burgund (Bourgogne) liegt bei der Anzahl produzierter Hektoliter zwar landesweit nur auf Platz fünf, ist aber in Sachen Quali- tät die Nummer eins. Und innerhalb Burgunds genießt die Côte d’Or den Ruf, das „Juwel“ unter den Weinanbaugebieten dieser Region zu sein. Dies verdeutlicht ein Blick auf die Einstufung hinsichtlich ihrer Lage, wobei das Urteil „Grand Cru“ die Klassifizierung als beste Lage darstellt: Von den 38 Grand Crus in Burgund liegen 37 im Bereich der Côte d’Or. Der Weinanbau in Burgund blickt dabei auf eine lange Geschichte zurück. Durch historische Funde nachgewiesen ist der Anbau durch die Römer im zweiten Jahrhundert nach Christus, wobei vermutlich sogar schon vorher die Kelten damit begonnen hatten. Im Mittelalter waren es dann vor allem Klöster und ihre Mön- che, die über ausreichend Ländereien und Fachwissen verfügten, um den Grundstein für die hohe Qualität der hiesigen Weine zu legen. Während der Weltkriege im 20. Jahrhundert lag die Produktion darnieder, wurde aber wieder aufgebaut und mit Hinweis auf die besondere Produktgüte offensiv beworben. Auf Grund dieser langen Historie und ihrer prägenden Bedeutung für diese Region wurden die Weinanbaugebiete Burgunds im Jahr 2015 in die Liste des Unesco-Welterbes ausgenommen. CHARMANT UND HEIMELIG: Die sehenswerte Altstadt von Beaune mit ihren historischen Gebäuden und verwinkelten Gassen.
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